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Der Krieg als häufigste ökologische Katastrophe in jeder Epoche reflektiert lediglich den allgemeineren Zustand des Gesamtorganismus, der als Menschheit bezeichnet wird.
Pardot Kynes, Die ökologische Sanierung von Salusa Secundus nach dem Holocaust
Auf der Verwaltungsinsel von Ginaz trafen sich die fünf größten lebenden Schwertmeister, um die übrig gebliebenen Schüler in der mündlichen Prüfungsphase des Lehrplans zu beurteilen. Sie wurden in Geschichte, Philosophie, Militärtaktik, Haiku-Dichtung, Musik und vielem anderem ausgequetscht – gemäß den detaillierten Anforderungen und Traditionen der Schule.
Doch diesmal fanden die Prüfungen vor einem tragischen Hintergrund statt.
Auf sämtlichen Schulinseln herrschte Wut, Empörung und Trauer um die sechs getöteten jungen Männer. Die Grummaner hatten ihre Barbarei demonstriert, indem sie vier der Leichen nicht weit vom Ausbildungszentrum entfernt in die Brandung geworfen hatten, wo sie schließlich an Land gespült wurden. Die Leichen der übrigen zwei – Duncan Idaho und Hiih Resser – wurden nicht gefunden.
Im höchsten Stockwerk des Hauptturms saßen die Schwertmeister an der geraden Seite eines halbkreisförmigen Tischs. Ihre Schwerter lagen mit den Spitzen nach außen vor ihnen, wie die Strahlen einer aufgehenden Sonne. Die Schüler, die vor dem Tisch standen, sahen die bedrohlich auf sie gerichteten Klingen, während sie schwierige Fragen beantworten mussten.
Alle hatten bestanden. Jetzt kümmerten sich Karsty Toper und die Schulverwaltung um Heighliner-Passagen für die erfolgreichen Schüler, damit sie auf ihre Heimatwelten zurückkehren konnten, wo sie einsetzen würden, was sie gelernt hatten. Einige hatten sich bereits auf den Weg zum nahe gelegenen Raumhafen gemacht.
Und die Schwertmeister mussten sich nun mit den Konsequenzen auseinander setzen.
Der fette Rivvy Dinari holte das Schwert des Herzogs Paulus Atreides und ein juwelenbesetztes Moritani-Messer hervor, die man zwischen den Sachen von Idaho und Resser gefunden hatte. Mord Cour ließ betrübt den Kopf mit der grauen Mähne hängen. »Wir haben viel Erfahrung darin, den Besitz von Schülern zurückzuschicken – aber nicht unter solchen Umständen.«
Der sehnige Meister Jamo Reed war nach dem jahrelangen Dienst auf der Gefängnisinsel abgehärtet, doch auch er musste weinen. »Wenn Ginaz-Schüler sterben, sollte es während eines besonders schwierigen Trainings geschehen – nicht durch die Hand von Mördern.«
Ginaz hatte einen offiziellen Protest eingelegt und auf den Empfänger zugeschnittene Drohungen und Beleidigungen an den Grafen Hundro Moritani geschickt, der sich dadurch jedoch nicht beeindrucken ließ. Er hatte bislang auch keine angemessenen Entschädigungen für die brutalen Angriffe auf Ecaz geleistet. Der Landsraad und der Imperator berieten sich zur Zeit darüber, wie man am besten darauf reagieren sollte. Viele Fürsten großer Häuser hielten sich auf Kaitain auf, um vor dem Forum zu sprechen. Doch man hatte sich bestenfalls auf Verweise und Strafgebühren einigen können – die für den wahnsinnigen Grafen nicht mehr als leichte Schläge auf die Finger waren.
Die Grummaner glaubten, sich alles erlauben zu können.
»Ich fühle mich ... persönlich verletzt«, sagte Jeh-Wu. Seine Locken waren verworren. »Nie zuvor hat es jemand gewagt, einem Schwertmeister so etwas anzutun.«
Der stutzerhafte Whitmore Bludd setzte sich aufrecht und zupfte an den Rüschen und schweren Manschetten seines Hemdes. »Ich schlage vor, dass wir sechs unserer Inseln nach den ermordeten Studenten benennen. Die Geschichte wird die Erinnerung an dieses niederträchtige Verbrechen bewahren, und wir erweisen den Sechs Ehre.«
»Ehre?« Rivvy Dinari patschte mit seiner dicken Hand auf den Tisch, dass die Schwertklingen klirrten. »Wie können Sie in diesem Zusammenhang ein solches Wort benutzen? Ich habe vergangene Nacht drei Stunden an Jool-Norets Gruft verbracht, um zu beten und zu fragen, wie wir auf eine solche Situation reagieren sollen.«
»Und hat er Ihnen geantwortet?« Jeh-Wu erhob sich mürrisch und blickte aus dem Fenster auf den Raumhafen und die felsige Küste. »Selbst zu seinen Lebzeiten hat Jool-Noret niemals irgendjemand unterrichtet. Er ertrank in einer Flutwelle, und seine Schüler versuchten ihm nachzueifern. Wenn Noret schon nicht seinen nächsten Anhängern helfen wollte, wird er uns auf gar keinen Fall helfen.«
Bludd schniefte beleidigt. »Dieser große Mann lehrte, indem er mit leuchtendem Beispiel voranging. Eine sehr effektive Methode für alle, die lernfähig sind.«
»Und er hatte Ehre, genauso wie die Samurai des Altertums«, sagte Dinari. »Im Laufe der Jahrtausende sind wir immer unzivilisierter geworden. Wir haben so viel vergessen.«
Mord Cour runzelte nachdenklich die Stirn und musterte den korpulenten Schwertmeister. »Sie vergessen die Geschichte, Dinari. Die Samurai zeichneten sich vielleicht durch eine besondere Ehre aus, aber als die Briten mit Gewehren in Japan eintrafen, waren die Samurai nach nur einer Generation verschwunden.«
Jamo Reed blickte bestürzt auf. »Bitte, wir dürfen nicht gegeneinander kämpfen, sonst werden die Grummaner uns sehr schnell besiegen.«
Jeh-Wu schnaufte. »Das haben sie doch längst ...«
Er wurde durch laute Geräusche von der Tür unterbrochen. Er wandte sich vom Fenster ab, während sich die anderen vier Schwertmeister schockiert von ihren Plätzen erhoben.
Zwei verdreckte und zerschundene Gestalten setzten sich über die Einwände dreier uniformierter Schulangestellter hinweg, indem sie die Männer einfach zur Seite stießen. Dann traten Duncan Idaho und Hiih Resser in den Raum. Sie humpelten und sahen sehr erschöpft aus, aber in ihren Augen brannte ein Feuer.
»Kommen wir zu spät?«, fragte Resser mit einem gezwungenen Grinsen.
Jamo Reed lief um den Tisch und umarmte Duncan und Resser. »Meine Jungen – ihr seid am Leben!«
Selbst auf Jeh-Wus Leguangesicht zeigte sich ein erleichtertes und erstauntes Lächeln. »Ein Schwertmeister redet nicht über offenkundige Tatsachen«, sagte er. Doch Jamo Reed ging überhaupt nicht auf diese Rüge ein.
Duncans Augen leuchteten, als er das Schwert des alten Herzogs auf dem halbrunden Tisch liegen sah. Er trat einen Schritt vor und blickte auf das Blut, das aus einer Wunde in seinem linken Schienbein sickerte und die schlecht sitzende Hose tränkte. »In den vergangenen Tagen hatten Resser und ich wenig Gelegenheit, für die mündlichen Prüfungen zu üben ... wir waren eher mit der praktischen Anwendung unserer Ausbildung beschäftigt.«
Resser schwankte leicht und schien sich kaum noch auf den Beinen halten zu können. Duncan stützte ihn. Mord Cour schenkte ihnen etwas zu trinken ein, und sie leerten die Wassergläser in einem Zug. Dann erzählten sie, wie sie in der rauen See über Bord gesprungen waren, wie sie geschwommen waren und sich gegenseitig geholfen hatten, möglichst weit vom großen dunklen Schiff wegzukommen. Ihre Fähigkeiten waren bis an die Grenzen beansprucht worden, sie hatten sich an jeden Fetzen Wissen geklammert, den sie in den acht Jahren der harten Ausbildung erworben hatten. Auf diese Weise hatten sie sich stundenlang über Wasser halten können. Sie hatten sich an den Sternen orientiert, bis die Strömung sie endlich an die Küste einer der zahlreichen Inseln geschwemmt hatte – zum Glück eine bewohnte. Dort hatten sie sich provisorisch verarzten und trockene Kleidung geben lassen, um unverzüglich die nächste Reisemöglichkeit in Anspruch zu nehmen.
Obwohl Ressers typische gute Laune sichtlich getrübt war, gelang es ihm trotzdem, sein Anliegen mit erhobenem Haupt vorzubringen. »Wir möchten offiziell die Verschiebung unserer letzten Prüfungen beantragen ...«
»Verschiebung?«, fragte Jamo Reed, der Tränen in den Augen hatte. »Ich schlage einen Dispens vor. Diese zwei Schüler haben ihre Eignung zum Schwertmeister unzweifelhaft unter Beweis gestellt.«
Whitmore Bludd zupfte indigniert an seinen Manschetten. »Die Formen müssen gewahrt bleiben!«
Der alte Mord Cour warf ihm einen skeptischen Blick zu. »Haben die Grummaner uns nicht gerade gezeigt, wie dumm es ist, sich blind an die Formen zu halten?« Die anderen vier Meister wandten den Kopf Rivvy Dinari zu, um seine Ansicht zu hören.
Nach einiger Zeit wuchtete der Schwertmeister seinen gewichtigen Körper vom Sitz hoch und sah die verdreckten Schüler an. Dann deutete er auf das Schwert des alten Herzogs und den Zierdolch der Moritanis. »Idaho, Resser, nehmen Sie Ihre Waffen.«
Mit pochendem Herzen griff Duncan nach dem Atreides-Schwert und Resser nach dem Dolch. Stahl klirrte, als die Schwertmeister ihre Klingen vom Tisch aufhoben. Sie stellten sich im Kreis auf und streckten die Klingen in die Mitte, wo sich die Spitzen kreuzten.
»Schließen Sie den Kreis«, sagte Mord Cour.
»Jetzt sind Sie Schwertmeister«, verkündete Dinari mit seiner verblüffend hellen Stimme. Der groß gewachsene Mann steckte sein Schwert in die Scheide, nahm das rote Stirnband ab und band es Duncan um den Kopf. Resser erhielt das Stirnband von Jamo Reed.
Das Gefühl, es nach acht Jahren der Ausbildung endlich geschafft zu haben, ließ Duncan beinahe zusammenbrechen, aber er zwang sich dazu, das Zittern seiner Knie zu unterdrücken und stehen zu bleiben. Resser und er gaben sich feierlich die Hand, auch wenn dieser Anlass durch eine Tragödie getrübt wurde. Duncan konnte es gar nicht abwarten, nach Caladan zurückzukehren.
Ich habe Sie nicht enttäuscht, Herzog Leto.
Dann war plötzlich krachender Donner zu hören, als würde Luft zerreißen. Offenbar tauchte ein Fluggefährt in die Atmosphäre ein. Auf den Riffen, die die Zentralinsel umgaben, wurden Sirenen ausgelöst. Nicht allzu weit entfernt hallte eine Explosion von den Wänden der Verwaltungsgebäude wider.
Die Schwertmeister stürmten auf einen Balkon, von dem aus man einen Blick über den gesamten Komplex hatte. Hinter der ruhigen Fläche des Meeres war rauchendes Feuer über zwei Inseln zu sehen.
»Ein Luftangriff!«, sagte Jamo Reed. Duncan sah dunkle raubvogelhafte Umrisse, die aus den Flammensäulen aufstiegen und weitere Bomben abwarfen.
Jeh-Wu knurrte wütend und schüttelte sein schwarzes Haar. »Wer würde es wagen, uns anzugreifen?«
Für Duncan war die Antwort völlig offensichtlich. »Das Haus Moritani ist noch nicht mit uns fertig.«
»Eine Missachtung aller Regeln der zivilisierten Kriegsführung«, sagte Rivvy Dinari. »Sie haben keine Kanly erklärt und sich nicht an die Formen gehalten.«
»Nach allem, was er Ecaz und uns angetan hat, besteht kein Zweifel, dass Graf Moritani sich einen Dreck um Formen schert«, sagte Resser angewidert. »Sein Verstand arbeitet anders.«
Die Explosionen rissen nicht ab.
»Wo bleibt das Gegenfeuer unserer Luftabwehr?« Whitmore Bludd wirkte eher entrüstet als wütend. »Wo sind unsere Thopter?«
»Nie zuvor hat es jemand gewagt, Ginaz anzugreifen«, sagte Jamo Reed. »Wir sind politisch neutral. Unsere Schule dient allen Häusern.«
Duncan sah, dass die Meister von ihrem Selbstbewusstsein und ihrem Vertrauen in Regeln und Formen geblendet waren. Eine Hybris! Sie hatten niemals über ihre eigene Verwundbarkeit nachgedacht – obwohl sie genau das ihren Schülern beizubringen versuchten.
Dinari stieß eine Reihe übler Flüche aus und drückte sich ein Fernglas in die Fettwülste seines Gesichts. Er justierte die Öl-Linsen, ignorierte die sich nähernden Fluggefährte und konzentrierte sich auf die Küste der Verwaltungsinsel. »Überall feindliche Stoßtrupps. Sie sind auf der Seite gelandet, die dem Raumhafen gegenüber liegt. Sie rücken mit geschulterten Artilleriegeschützen vor.«
»Anscheinend wurden sie von U-Booten abgesetzt«, sagte Jeh-Wu. »Das ist kein spontaner Überfall – die Aktion wurde gründlich geplant.«
»Sie haben nur auf einen Vorwand gewartet«, fügte Reed hinzu, der das gebräunte Gesicht zu einer finsteren Miene verzogen hatte. Die angreifenden schwarzen Flugscheiben kamen immer näher.
Auf Duncan machten die Schwertmeister einen völlig hilflosen, fast bemitleidenswerten Eindruck, als sie plötzlich vor dieser unerwarteten Situation standen. Ihre hypothetischen Übungen hatten kaum etwas mit der Realität zu tun. Seine Hand klammerte sich um den Griff des Schwertes.
»Die Schiffe sind unbemannte Drohnen, die Bomben und Brandsätze abwerfen sollen«, stellte Duncan sachlich fest. Entlang der gesamten Küste gingen Gebäude in Flammen auf.
Schreiend flohen die stolzen Schwertmeister vom Balkon, gefolgt von Resser und Duncan. »Wir müssen die Kampfstationen besetzen und versuchen, die Verteidigung zu organisieren!« Dinaris feine Stimme klang nun etwas strenger.
»Die übrigen Absolventen befinden sich am Raumhafen«, warf Resser ein. »Sie können sich ausrüsten und kämpfen.«
Jamo Reed, Mord Cour und Jeh-Wu stürmten durch den Hauptkorridor und bemühten sich insbesondere vor den Angestellten und Beamten, die noch kopfloser wirkten, die Haltung zu bewahren. Auf der Treppe demonstrierte Rivvy Dinari, wie schnell er seine Körpermasse bewegen konnte, als er mehrere Stufen im Sprung nahm. Whitmore Bludd hastete hinter den anderen her.
Duncan und Resser verständigten sich durch einen kurzen Blick, dann folgten sie den zwei Schwertmeistern, die die Treppe genommen hatten. Eine Explosion in der Nähe erschütterte das Verwaltungsgebäude, doch die jungen Männer gerieten nur für einen Moment ins Stolpern. Draußen ging der Angriff weiter.
Die frisch gebackenen Schwertmeister gelangten durch eine Tür in die zentrale Vorhalle im Erdgeschoss, wo sie Dinari und Bludd einholten. Durch die Panzerplaz-Fenster konnte Duncan sehen, dass draußen mehrere Gebäude brannten. »Wo ist die Kommandozentrale?«, fragte er die älteren Männer. »Wir brauchen Ausrüstung. Gibt es Kampfthopter am Raumhafen?«
Resser hielt den Moritani-Zierdolch in der Hand. »Ich bin bereit, hier zu kämpfen, falls sie es wagen, jemanden hereinzuschicken.«
Bludd wirkte sehr aufgeregt. Unterwegs hatte er seinen farbigen Umhang verloren. »Denken Sie in größeren Maßstäben! Welches Ziel verfolgen diese Leute? Natürlich – die Gruft!« Bestürzt deutete er auf den verzierten schwarzen Sarg, der auf einem Podest stand und die Vorhalle dominierte. »Jool-Norets sterbliche Überreste, das heiligste Objekt auf ganz Ginaz. Gibt es etwas, das uns schmerzhafter treffen würde?« Mit gerötetem Gesicht wandte er sich zu seinem korpulenten Begleiter um. »Es wäre genauso, als würden die Grummaner uns einen Stich mitten ins Herz versetzen.«
Verdutzt blickten sich Duncan und Resser an. Sie waren in die Geschichten über diesen legendären Kämpfer eingeweiht worden – doch angesichts des blutigen Überfalls, der explodierenden Bomben, der schreiend flüchtenden Zivilisten auf den Inselstraßen hätte keiner von beiden auch nur einen Gedanken an die Knochen eines längst Verstorbenen verschwendet.
Dinari stürmte wie ein Schlachtschiff los. »Zur Gruft!«, rief er. Bludd und die anderen versuchten, mit ihm Schritt zu halten.
Die berühmte Grabstätte war mit durchsichtigem Panzerplaz und einem schimmernden Holtzman-Schild gesichert. Die zwei Schwertmeister vergaßen jede respektvolle Zurückhaltung und hetzten die Stufen hinauf, um die Hände auf eine Sensorfläche zu legen. Der Schild erlosch, und die Abschirmung aus Panzerplaz hob sich.
»Wir tragen den Sarkophag«, rief Bludd Duncan und Resser zu. »Wir müssen ihn in Sicherheit bringen. Er ist die Seele der Ginaz-Schule.«
Duncan wog das Schwert des alten Herzogs in der Hand, während er ständig nach Angreifern in Moritani-Uniform Ausschau hielt. »Holen Sie die Mumie, wenn Sie es für nötig halten, aber beeilen Sie sich.«
Resser stand neben ihm. »Dann sollten wir von hier verschwinden und nach Schiffen suchen, mit denen wir kämpfen können.« Duncan hoffte, dass mittlerweile auch andere auf die Idee gekommen waren, die Verteidigung zu organisieren, und sich gegen die Angreifer zur Wehr setzten.
Die älteren Schwertmeister hoben den verzierten Sarg an, um ihn nach draußen in eine zweifelhafte Sicherheit zu bringen. Duncan und Resser hielten ihnen den Weg frei. Draußen setzten die schwarzen Flugscheiben die flächendeckende Bombardierung fort.
Ein bewaffneter Thopter mit dem Emblem der Schule landete auf dem Platz vor dem Verwaltungsgebäude. Die Maschine zog die Flügel ein, während die Motoren weiterliefen. Ein halbes Dutzend Schwertmeister mit Kampfanzügen und roten Stirnbändern sprang heraus. Sie hatten sich mit Lasguns bewaffnet.
»Wir haben Norets Leiche«, rief Bludd stolz und winkte die Kollegen herbei. »Schnell!«
Soldaten in gelben Moritani-Uniformen liefen auf den Platz. Duncan schrie eine Warnung, dann eröffneten die Schwertmeister das Feuer auf die Feinde. Die Grummaner schossen zurück. Zwei Schwertmeister wurden getroffen, einschließlich Jamo Reed. Als eine Luftbombe explodierte, warf es den alten Mord Cour zu Boden. Rumpf und Arme wurden ihm durch herumfliegende Steinsplitter verletzt. Duncan half dem Lehrer auf die Beine und brachte ihn in den Thopter.
Doch er hatte Cour kaum hineingehoben, als ein Angreifer ihm die Beine wegschlug. Der junge Schwertmeister ging zu Boden, rollte sich ab und sprang sofort wieder auf. Bevor er sein Schwert ziehen konnte, hatte eine Grummanerin in gelbem Gi-Kampfanzug seine Deckung unterlaufen und schlug mit Krallenmessern an den Fingern nach ihm. Da sein Schwert auf diese kurze Distanz nutzlos war, packte Duncan einfach das lange Haar der Angreiferin und riss daran, bis er hörte, wie das Genick brach. Die Frau sackte erschlafft und zuckend zusammen.
Weitere Grummaner näherten sich dem Kampfthopter. »Fliegen Sie endlich los!«, schrie Resser. »Bringen Sie den verdammten Sarg weg!« Gleichzeitig mussten er und Duncan sich gegen weitere Angreifer zur Wehr setzen.
Ein bärtiger Mann stürmte mit einem funkensprühenden elektrischen Speer auf Duncan zu, doch der duckte sich und wich seitlich aus. Hektisch suchte er im Fundus seiner achtjährigen Ausbildung nach der angemessenen Reaktion. Seine Wut drohte ihn zu überwältigen, als er sich an die Schüler erinnerte, die auf dem dunklen Schiff auf barbarische Weise getötet worden waren. Auf seiner Netzhaut brannten die Bilder der Bomben, des Feuers und der unschuldigen Todesopfer.
Doch dann erinnerte er sich an Dinaris Ermahnung: Wer sich vom Zorn leiten lässt, macht Fehler. Er riss sich zusammen und zwang sich zu einer kühlen, beinahe instinktiven Reaktion. Duncan Idahos stahlharte Finger bohrten sich knapp unter dem Brustkorb in die Haut des Angreifers und in sein Herz.
Dann löste sich ein zurückhaltend wirkender junger Mann aus der Gruppe der Moritani-Leute. Er war schlank und muskulös, und sein rechtes Handgelenk steckte in einem festen Verband. Trin Kronos. Der mürrische Adelsspross hielt eine Katana mit scharfer Klinge in der unversehrten Hand. »Ich dachte, ihr beiden wärt längst Fischfutter, genauso wie die anderen vier Exempel, die wir statuiert haben.« Er blickte zu den Flugscheiben auf. Dann ließ eine gewaltige Explosion ein niedriges Gebäude einstürzen.
»Stell dich mir, Kronos!«, sagte Resser und zog seinen Zierdolch. »Oder bist du zu feige – ohne deinen Vater und ein Dutzend schwer bewaffnete Wachen?«
Trin Kronos betrachtete nachdenklich seine Katana, dann warf er sie beiseite. »Diese Waffe ist viel zu gut für einen Verräter. Ich könnte sie nicht mehr benutzen, wenn ich sie mit deinem Blut beschmutzt habe.« Stattdessen zog er nun ein Duellmesser. »Ein Dolch lässt sich leichter ersetzen.«
Ressers Wangen röteten sich, und Duncan trat zurück, um den Kampf der beiden zu verfolgen. »Ich hätte mich niemals vom Haus Moritani losgesagt, wenn es mir irgendetwas gegeben hätte, woran ich hätte glauben können«, sagte Resser.
»Glaube an den kalten Stahl meiner Klinge«, erwiderte Kronos mit abgrundtiefer Verachtung. »Zweifle nicht, dass sie in dein Herz dringen wird.«
Sie bewegten sich vorsichtig im Kreis, ohne den anderen aus dem Auge zu lassen. Resser hielt den Dolch bereit und blieb in Verteidigungshaltung, während Kronos immer wieder zustieß – angriffslustig, aber wirkungslos.
Dann machte Resser den ersten Ausfall und versetzte Kronos einen schnellen Fußtritt. Doch der Grummaner ging nicht wie erwartet zu Boden, sondern zuckte wie eine Schlange zurück. Resser drehte sich einmal im Kreis und fand sein Gleichgewicht wieder, während er einen schnellen Messerhieb abwehren musste.
Die Kämpfer hatten einen freien Platz, der mit kleinen Trümmerstücken übersät war. In den Straßen der näheren Umgebung ging die Zerstörung weiter. Aus den Fenstern hoher Stockwerke wurde geschossen. Die Schwertmeister bemühten sich, den Sarkophag mit den Reliquien in den Thopter zu wuchten, mussten sich aber gleichzeitig mit Angreifern auseinander setzen.
Kronos machte eine Finte und zielte mit der Spitze seines Duellmesser genau auf Ressers Augen, dann stach er nach seiner Kehle. Resser warf sich zur Seite und entging dem Hieb, doch dann blieb sein Fuß an einem Trümmerbrocken hängen. Er verstauchte sich den Knöchel und stolperte.
Der Grummaner warf sich wie ein Löwe auf ihn und holte mit dem Messer aus. Resser konnte es jedoch mit seinem eigenen Dolch abfangen, worauf es seinem Widersacher aus der Hand fiel. Dann stieß seine Klinge nach oben und fuhr in den Bizeps seines Gegners. Er fügte ihm einen langen roten Schnitt über den Ellbogen bis zum Unterarm zu.
Kronos schrie wie ein kleines Kind und taumelte zurück. Entsetzt starrte er auf das rote Blut, das ihm über die Hand strömte. »Bastard! Verräter!«
Resser sprang auf und nahm wieder eine kampfbereite Haltung an. »Ich bin ein Waisenkind, kein Bastard.« Seine Lippen krümmten sich zu einem flüchtigen, matten Lächeln.
Als ihm kein unverletzter Arm mehr zur Verfügung stand, erkannte Kronos, dass er den Messerkampf verloren hatte. Seine Miene wurde hart. Mit dem Messergriff schlug er auf den dicken Verband um sein Handgelenk. Es brach an einer vorbereiteten Naht auf, und eine Feder ließ eine Maula-Pistole in seine Hand schnellen. Grinsend hob Kronos die Waffe und machte sich bereit, Resser eine volle Ladung silberner Pfeile in die Brust zu jagen. »Bestehst du immer noch darauf, dich an deine idiotischen Regeln zu halten?«
»Ich bestehe darauf«, sagte Duncan Idaho. Er stand hinter dem Grummaner und stieß mit dem Schwert des alten Herzogs zu. Die Spitze drang zwischen den Schulterblättern ein und trat an der Brust wieder aus. Trin Kronos hustete Blut, erzitterte und starrte erstaunt auf das Ding, das plötzlich aus seinem Brustbein ragte.
Er brach tot zusammen und glitt von der blutigen Klinge. Duncan betrachtete das Opfer und sein Schwert. »Die Grummaner sind nicht die Einzigen, die Regeln missachten können.«
Ressers Gesicht war grau geworden. Er hatte die Unvermeidlichkeit seines Todes in dem Augenblick akzeptiert, als er Kronos' versteckte Pistole gesehen hatte. »Duncan ... du hast ihn von hinten getötet.«
»Ich habe das Leben meines Freundes gerettet«, erwiderte Duncan kühl. »Und diese Entscheidung würde ich jederzeit wieder genauso treffen.«
Dinari und Bludd war es endlich gelungen, die heiligen Reliquien im Thopter zu verstauen. Laserstrahlen schossen durch die Luft, als die Verteidiger mit tödlicher Präzision das Feuer erwiderten. Die jungen Männer standen erschöpft auf dem Platz, doch die Schwertmeister zerrten sie im nächsten Augenblick an Bord des Thopters.
Die Motoren heulten auf, und das Gefährt erhob sich in die Luft. Die Flügel erreichten ihre maximale Spannweite und brachten die Passagiere und Jool-Norets Sarkophag von den Hauptgebäuden fort. Als sich Duncan auf den Metallboden hockte, legte Rivvy Dinari ihm seinen dicken Arm um die Schultern. »Sie beiden mussten sehr schnell Ihre erste Bewährungsprobe ablegen.«
»Worum geht es eigentlich bei diesem Überfall? Nur um verletzten Stolz?« Duncan kochte vor Wut. »Ein ziemlich blödsinniger Grund, einen Krieg anzuzetteln.«
»Es gibt nur wenige triftige Gründe, einen Krieg zu beginnen«, sagte Mord Cour bedrückt.
Whitmore Bludd klopfte gegen die Plazscheibe. »Schauen Sie nach draußen.«
Ein Schwarm von Ginaz-Kampfjägern feuerte auf die feindlichen Einheiten und mähte die Bodentruppen nieder. »Unsere neuen Schwertmeister haben in den Kampf eingegriffen – Ihre Mitschüler vom Raumhafen«, sagte Cour.
Nach einem direkten Treffer explodierte eins der unbemannten Diskusschiffe. Die Schwertmeister im überfüllten Thopter reckten die geballte Faust.
Ein zweites Schiff stürzte in den Ozean. Der Thopter verfolgte eine Schwadron flüchtender Grummaner und hinterließ eine Spur aus blutigen Leichen. Der Pilot setzte zu einem neuen Angriffsflug an.
»Die Grummaner haben mit leichter Beute gerechnet«, sagte Whitmore Bludd.
»Aber wir haben es ihnen gezeigt«, knurrte Jeh-Wu.
Duncan betrachtete das Chaos und hatte es längst aufgegeben, die Szenerie der Verwüstung mit der Raffinesse zu vergleichen, die er in acht Jahren an der Ginaz-Schule gelernt hatte.